Tag 1

Privates Logbuch

Name: Cpt. Nineeh Metaris; Codename: Blue
System: Vela; µ Velorum; Tauri-Bey-Ma-Leh
Schiff: Frachter Klasse 3; XV26/13 Ubalda
Zeit: 2505/9457; 1033
Koordinaten: keine Angabe möglich

 

Tag 1

Verdammte Axt. Was eine verfluchte Scheiße. Ich könnte kotzen. Am laufenden Meter.

Verdammt, Blue, reiß dich mal zusammen. Was sollen denn die Leser denken. – Leser? Welche Leser? Ich schreib das hier, damit ich nicht Amok laufe, verdammt nochmal!

Aber ich verstehe. Du willst es lyrisch. Bitte sehr: Adieu, du schönes Leben. Du warst so wunderschön. Leider werde ich dich viel zu früh verlassen müssen.

Zumindest weisen alle zur Zeit greifbaren Parameter darauf hin.

Was geschah? Ist schnell erklärt: vor 23 Std. Standardzeit fühlte der Bordcomputer sich aus unbekannten Gründen genau in dem Augenblick dazu veranlasst, die Koordinaten unserer Destination erneut zu berechnen, als wir uns mitten im Sprung befanden. Er unterbrach denn auch vorschriftsmäßig die Funkverbindung zum Wurmlochgenerator, woraufhin der Tunnel zusammen gefallen ist und uns irgendwo zwischen Mekadon und Bainhiri (welche in zwei verschiedenen Galaxien liegen) raus geworfen hat. Vor lauter Perplexität verpasste ich es, den Generator einzufangen und voilà, schon war ich gestrandet. Und nein, der verdammte Generator war NICHT gesichert. Ich habe das einmal gemacht und kam als Rollbraten aus dem Tunnel raus. Die Antenne musste dran glauben, sowie fünf Außenbordkameras. Alles war abgeschnitten, wie mit dem Tranchiermesser. Von da an, ließ ich den Generator frei, was streng genommen auch die übliche Vorgehensweise darstellt. Nachdem man auftauchte und den berühmten Hechtsprung zur Konsole gemacht hat, ein Vorgang der insgesamt nicht länger als zwei Minuten dauern darf, schaltet man den Traktorstrahl ein und fertig. Also normalerweise. ^^

Warum man das Ding einfangen muss? Weil der Wurmlochgenerator ein Kraftfeld ist, welches den Raum zu einer Singularität komprimiert, durch das man mit seinem Schiff hindurch springt. Beließe man den Generator an Bord, würde er das Schiff ebenfalls verformen und das kann ja niemand wollen. Also parkt man die Tunnelmaschine vor dem Bug seines Vehikels, stellt einige hochkomplizierte Berechnungen an, lässt ihn den Raum verbiegen, nimmt Anlauf und kommt einige wenige Tage später x Lichtjahre entfernt, wieder zum Vorschein. Nachdem der Transfer beendet wurde, fällt das Kraftfeld praktischerweise hinter dem Schiff in den Tunnel und kann so beim auftauchen wieder eingefangen werden. – Vorausgesetzt, man WEIß, dass man gerade aus dem Tunnel fällt, siehe oben…

Hätte auf die Jungs in der Werft hören sollen. Sie meinten, ich solle eine K.I. in den Frachter holen. Aber ich wollte nicht. Die Dinger labern mir zu viel. Außerdem wären dann nochmal 150.000 Kredits aufzubringen gewesen; das lief einfach nicht. So nahm ich den, immerhin, größten Rechnerverbund seiner Klasse. Ganze fünf Aufträge ging das gut. Aber was sollte denn auch groß passieren? Der Rechner funktioniert doch (normalerweise) wie eine K.I., nur das man ihm sagen muss, was er tun soll. Und Berechnungen befiehlt man genauso, wie alles andere auch. Das verfluchte Ding hat sich aus was für Gründen auch immer, selbständig gemacht!

Wir sind tatsächlich ZWISCHEN den Galaxien aufgetaucht.

Ein größerer Alptraum ist nicht vorstellbar.

Nicht nur, dass man sich buchstäblich im Nichts befindet, man kann auch niemandem sagen, wo man ist, es gibt keine Gravitationsanomalien, keine Neutronensterne, deren Feuer man quer durch die Galaxie orten könnte, keine auffälligen Sternkonstellationen, gar nichts. Null Bezugspunkte. Ich funke trotzdem S.O.S.; man weiß ja nie. Ansonsten kann ich jetzt noch zweihundert Jahre hier herumdümpeln, ehe der Ring schwächer wird und meine Lebenserhaltung den Bach runter geht. Falls nicht vorher die Filter streiken oder das Biotop aufgibt oder was-weiß-ich passiert.

Mit herumdümpeln meine ich übrigens nicht, das ich hier rumstehe. Im Gegenteil, ich quetsche aus der Mühle raus, was überhaupt geht. Aber mehr als ein drittel Licht gibt mein Frachter halt nicht her. Und da ich ungefähr 180.000 LJ von meiner Heimatgalaxie La-Nih-Kea und 20.000 LJ von der anderen Galaxie, Esa-Tin-Es entfernt bin, kannst Du, hypothetischer Leser, bitte selbst ausrechnen, wie lange ich noch unterwegs bin, ehe ich das nächste lebendige Wesen sehe.

Während ich das aufschreibe, wird mir schon wieder schlecht. Ich wußte, es ist eine furchtbare Idee, dieses private Logbuch anzufangen. Allein, die Wände anschreien bringt mich auf Dauer auch nicht weiter.

Wieso MACHT der Rechner das? Und wieso finde ich darüber keinen Eintrag in den Logfiles? Ich begreife es nicht. Ein Check der Hardware ergab auch keine sichtbaren Schäden. Im Moment läuft ein Diagnoseprogramm; in drei Tagen weiß ich hoffentlich mehr. Mein Schädel platzt gleich. Ich werde mir jetzt noch etwas Gemüse aus dem Biotop holen und nach dem essen in die Koje springen.

Vier Stunden später bin ich immer noch wach. Eine gejoggte Runde durchs Schiff brachte auch keine Ruhe ins limbische System. Ratlos lief ich Pfade in den Boden zwischen Konsole und Schott; dabei fiel mir auf, wie staubig es doch überall ist. Also hab ich noch geputzt. Aber müde werden ist irgendwie nicht drin. Fege die soeben ordentlich gestapelten Sternkarten wieder durcheinander, weil es auf der Brücke jetzt viel zu steril ist. Ich fühle mich beobachtet und habe, zum ersten Mal in meinem Leben, eine verdammte scheiß Angst. – Und nein, das streiche ich NICHT durch.

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