Tagebuch einer unbekannten Astronautin – Prolog

Vor Zeiträumen, die sich allgemein vorstellbaren Maßstäben entziehen, gab es im Weltall nur die Chaosdrachen. Wild flogen sie umher, je wilder und schneller, desto mehr Chaos stifteten sie. Ein irres Geflecht von Farben durchzog den Raum, ohne Muster, ohne Ordnung, ohne Sinn und ohne Zweck. Eines Tages kam, was kommen musste, zwei der Drachen stießen aneinander und – was war das? Sie klebten fest, konnten sich nicht mehr voneinander lösen. Zuerst waren sie perplex, dann wütend, dann sahen sie sich in die Augen und dann war da eine Idee. Zuerst zögerlich, und unkoordiniert, probierten sie ein Muster, der eine Drache machte blaue Farbe, der andere das Rot. Sie zauberten eine Helix in den Raum und setzten lauter Pünktchen drauf.
Andere Drachen sahen das Schauspiel, gesellten sich hinzu, beäugten erst misstrauisch, dann rasend, dann staunend und dann fielen sie sich in die Arme und probierten Muster aus. Nach einer Weile bemerkten sie, dass nicht alle Konstellationen gelangen, manche Drachen schienen sich eher abzustoßen, denn anzuziehen. Wieder andere bildeten plötzlich ganz neue Drachenformen; es schien ein Spiel mit unendlichen Möglichkeiten zu sein.

Viele Äonen später hatten sie also etwas erschaffen, dass unserem heutigem Universum sehr ähnlich sieht. Allerdings gab es nur die Drachen und ihre Brüder, Wesen, die wir als Engel kennen. Von jenen ist allerdings bis auf den heutigen Tag nicht viel bekannt. Sie scheinen sich eher außerhalb der Sphären aufzuhalten, andere Aufgaben erfüllen zu müssen, wenngleich jedes Wesen einen Schutzengel hat, der ihm hilft, sein Leben bestmöglich zu meistern.

Aber nun. Dieses Ur-Universum war kleiner, gemütlicher und auch ein bißchen bunter, die Engel und Drachen lebten frei, ihre Ordnung war ein Spiel, dessen Regeln unbekannt.
Es gab kein Leben, wie wir es kennen, das Leben war noch überhaupt nicht erfunden, niemand hatte eine Ahnung, dass es so etwas geben kann. Also vermisste auch niemand etwas und lebte einfach in den aufgehenden Tag unser aller Geschichte.
Es war ein fröhliches Treiben, stetig entstanden Sonnen und in einem x-beliebigem Augenblick, man rätselt heute noch über das wie, legte eine Drachenfrau ein Ei. „Huch“, machte sie, und „was war DAS denn bitteschön?“

Neugierig umflog sie das seltsame Ding, stupste es an, pustete einen Feuerstoß darüber, nahm es in die Tatzen und schüttelte es kräftig und auf einmal zerbrach die Schale. Und dann schüttelte die Drachin nicht mehr, denn da lag eine blaue Kugel vor ihr, mit weißen Wattewölkchen drumherum und jeder Menge leeren Land.
Schnell rief sie alle anderen Drachen herbei und gemeinsam staunten sie, so etwas hatte man ja noch nie gesehen! „Allerhand!“, und „Unerhört!“, und „Was ist das?“ ertönten die Stimmen in einem wilden durcheinander, als die Blicke des blauen Drachens die Blicke des roten Drachens trafen und sie wieder eine Idee durchströmte.

Sie machten sich ganz klein, so das sie auf die Kugel passten, nahmen sich in die Arme und flogen ihr erstes Muster noch einmal. Diesmal durch die vier Elemente.
Und sie erschufen eine Form, die sich selbst veränderte. Sie erschufen das erste Leben.

Die anderen folgten ohne weitere Verzögerung, mittlerweile hatte man ja gelernt, das man sich auch wieder loslassen kann und, überhaupt, wann hatten sie denn das letzte Mal etwas wirklich Neues probiert?
Denn über die Äonen hinweg, waren die Drachen müde geworden, manch einer klagte schon laut, das er so gerne einmal ausschlafen möchte.
Aber jetzt überkam sie alle eine willkommene Frische, und weil das so war, gab es innerhalb ein paar weniger planetarer Umdrehungen ein ganzes Sammelsurium der seltsamsten Kreaturen.
Mitten im Geschehen wurde es einer anderen Drachin blümerant und sie zog sich in den Raum zurück; man vermutete, das ihr die ungewohnte Dreherei auf der Kugel einen Schwindel verursacht hatte. Aber schon kurze Zeit später hörte man sie durch den gesamten lokalen Sternenhaufen brüllen: „ICH HAB AUCH EINS!!!“

Dann ging es Schlag auf Schlag, plötzlich bekam jede Drachenfrau ein Ei. Und es wurden so viele, das die Drachen gar nicht hinterherkamen, mit ihren Formationsflügen durch das Wasser und die Luft und die Erde und das Feuer. Zuerst dachten sie sich deshalb eine Fließbandfärberei aus, mussten das Projekt aber schnell wegen logistischer Probleme wieder zu den Akten legen.
Dann kam der Dienstälteste, Perantiqus, auf die Idee, doch eins ihrer geschaffenen Wesen zu nehmen, es mit Drachenkraft auszustatten und ihm die Aufgabe zu übertragen, die Planeten lebendig zu machen. Sie sollte es nur zu denken brauchen; Gedanken sind Lichtschnell, viel schneller als so ein ungelenker, Milliarden Jahre alter Ledernacken von Drachen. Denn, das muss man sagen, wie es ist, schön sahen sie nicht mehr aus. Sie waren steif geworden, manche klagten gar über Arthrose und andere Gebrechen und die Sehnsucht nach Ruhe überkam am Ende auch den letzten. Zwar kamen aus manchen Eiern auch Drachen aber darauf konnte man sich nicht verlassen und früher oder später wären es sowieso zu wenige Drachen für die ganze Arbeit gewesen. So zeigten sich alle einverstanden und überlegten sogleich, wen man denn für eine solche Aufgabe auswählen könnte.

Man einigte sich auf eine Ausschreibung. Jeder Planet im Universum erhielt die Einladung, Abgesandte zu schicken, von denen er glaubte, dass sie geeignet seien, den Schlüssel des Lebens zu bewahren. Sie erschienen zu hunderttausenden. Jeder war froh, den Drachen endlich einmal helfen, ihnen zeigen zu können, wie sehr man sie schätzte, für die Tatsache, dass sie das Leben erschaffen hatten. Mochte es auch unbekannte Komponenten und ungeklärte Fragen geben, der Drachen Konzept hatte funktioniert, sie alle waren schließlich DA. Alles andere würde früher oder später ohnehin ins Reich der Legenden fallen.
Jeder Anwärter musste eine Test durchlaufen, in denen seine Fähigkeit zur Improvisation ebenso gefragt war, wie das Maß an Herzensliebe und die Beweglichkeit des Verstandes. Als letztes bekamen sie Drachengene eingepflanzt; man hoffte auf diese Art eine Verbindung zu schaffen, eine die über ein übliches Maß hinausging und nicht zerbrechen konnte, weil der geistige Horizont des Hüters bei weitem überschritten werden sollte und man ihm daher einen Anker an die Hand zu geben gedachte.

Die Operation wurde dennoch mit Sorge verfolgt, man zeigte sich ängstlich, ob es nicht zu Komplikationen oder gar Todesfällen käme. Das von den 839.211 erschienen Wesen genau eins überhaupt auf die Gene reagierte, damit rechnete niemand. So geschah es aber.
Ilaya, ein 12-jähriges, unscheinbares Mädchen, das von zuhause weggelaufen und sich heimlich auf dem Schiff der Anwärter versteckt hatte, dem die Verlegenheit aus jeder Pore des Körpers schlug, als es in ihrem Kopf „Klick“ machte und sie in einem Augenblick die gesamte Geschichte der Drachen sah. Dann fiel sie in Ohnmacht.
Als sie wieder erwachte, sah sie sich umringt, eingekeilt zwischen gefühlten hunderten Wesen. Sie fing an zu weinen und rief, das man ihr „das“ wieder wegnehmen solle.
Beim Blick durch ein Mikroskop musste man aber feststellen, das man die Gene der Drachen und die des Mädchens nicht mehr voneinander unterscheiden konnte. Es sah aus, als sei sie mal Mensch, mal Drachen. Aber beides war sie im Ganzen. Das Staunen darüber wollte kein Ende holen. Über Dekaden debattierten die klügsten Köpfe, wie das denn nun wieder sein könne.

Ilaya hatte man indes völlig vergessen. Irgendwann trockneten ihre Tränen, sie begann, den Diskutanten zu lauschen und fragte sich, ob es vielleicht doch etwas Schönes war, dass ihr widerfuhr. Sie zog die Nase kraus, schälte sich unbemerkt aus dem Stuhl, wuselte zwischen den ganzen Drachenbeinen hindurch und rannte weit weg, einen Berg hinauf, auf der anderen Seite hinunter, bis sie atemlos und völlig verschwitzt am Strand eines großen Ozeans angelangt war. Dort warf sie sich in den warmen Sand, ließ selbigen durch ihre Finger rieseln, lauschte den Wellen und den Vorgängen in ihr.
Sie fühlte sich auf einmal so stark, so unbesiegbar; mit der fast unendlich langen Geschichte der Drachen waren auch ihre Kräfte und ihre Magie auf sie übergegangen, – nein, sie WAR jetzt die Kraft und die Magie.

Langsam stand sie auf, schüttelte sich bedächtig das Siliziumdioxid aus den Haaren, atmete tief ein und ließ es erneut kommen. Es warf sie zurück, an den Anfang des Universums, sie sah das Chaos, die ersten Muster, den gesamten Tanz der Gestirne bis auf den heutigen Tag. Und mit jeder vergangenen Sekunde wurde sie größer und mächtiger, bis sie anfing, sich zu verwandeln. Aus ihrem Rücken stießen unmöglich große, Perlmutt schimmernde Schwingen, ihre Haut bekam Schuppen, von der jede eine andere Farbe trug und ihr Haar färbte sich schneeweiß. Noch einen Atemzug später, stieß sie sich vom Boden ab, erhob sich in die Lüfte, drehte sich um die eigene Achse und stellte fest, dass hinter ihr der Berg, der Strand, der Himmel mit Wesen förmlich gesättigt war; jeder hatte die Verwandlung gesehen und starrte sie andächtig und fassungslos zugleich an.

„Ich bin Ilaya, halb Mensch, halb Drachen, und doch ganz Mensch und ganz Drachen. Ich hoffe, euch zu Diensten sein zu können.“ , sprach sie und ihre Stimme war so zart und leise, das man sie eigentlich eher erahnte, denn hörte.
Fell-Ach, ein junger, ungestümer Drache konnte nicht mehr an sich halten. „Hurra!“, rief er, „wir haben eine Königin!“ Alle drehten sich zu ihm um. Dann sahen sie wieder Ilaya an, die immer noch reglos in der Luft stand, wunderschön, erschreckend, zerbrechlich, sanft und doch so unfassbar mächtig. Alles zu gleichen Teilen und zur selben Zeit.
„Ja“, sprach Perantiqus, der schrundige, weiße Drachen, „wir haben eine Königin. Ich werde dich lehren, den Schlüssel zu gebrauchen, von heute an bist du eine aus dem Geschlecht der Drachen. Sei Willkommen, Ilaya, mögest du die erste einer langen Reihe von real-magischen Geschöpfen sein.“

Ohrenbetäubendes Jubeln ertönte, zusammen hatten sie wieder etwas völlig neues erschaffen, die Freude kannte kein Ende, man feierte 200 Jahre lang ununterbrochen.
Aber dann musste es auch einmal zur Pflichterfüllung gehen, Ilaya und der Silberrücken zogen sich zurück, er weihte sie in die Geheimnisse des Lebens ein; soweit diese bekannt waren. Immer wieder sprach er vom großen Mechaniker, einer der noch vor ihnen dagewesen sein musste, einer der dafür gesorgt hatte, das ihre Eier zu Keimzellen für reales Leben wurden. Ilaya fragte, warum sie bisher nichts davon gehört hätte.
„Nun, das sind hohe geistige Wissenschaften und nur wenige haben die Lust, sich Fragen zu stellen, die wir aller Wahrscheinlichkeit nach, niemals werden beantworten können. Es gibt massenhaft Wesen, die diese Art von Forschung für reine Zeitverschwendung halten, so das es im großen Kontext lautet: lasst uns lieber einfach alles genießen. Und – ein bißchen haben sie ja auch recht damit. Du, allerdings, solltest dich recht gründlich mit diesen Gedanken auseinandersetzen, möglichst bevor du deinen ersten Planeten färbst. Es ist etwas zutiefst Heiliges in unserem Universum und ich möchte, das du das mit jeder Zelle deines Körpers spürst. In späteren Zeiten wird man uns naiv schimpfen und auslachen. Man wird nicht mehr glauben, das es Freude ohne Leid gibt, das es die tiefe Gewissheit gibt, immer geborgen und gut aufgehoben zu sein, mag der Raum auch noch so kalt sein.“ Er blieb stehen und sah auf einmal sehr betrübt aus.

„Was ist Leid, was ist kalt?“ „Das mein Kind wirst du viel zu bald schon erfahren. Es wird der Tag kommen, an dem irgendetwas schief läuft. Ich spüre das, hier siehst du, diese Narbe, da hat mich einst eine platzende Sonne getroffen, ich war leider zu langsam und konnte nicht mehr ausweichen. Wie auch immer, seit dem habe ich Bilder von einer Zukunft im Kopf, die mir nicht gefällt. Ganz und gar nicht gefällt. Ich weiß nicht, was da passiert, ich weiß nicht, woher die Bilder kommen und worauf sie hinauslaufen werden. Aber ich weiß, es ist ein notwendiger Schritt. Es MUSS so passieren, denn das, was uns half, die zu werden, die wir sind, will, das wir noch mehr werden. So viel mehr. Es muss wieder etwas Neues geschaffen werden. Immer und immer wieder. Und manches davon, wird so traurig sein, das man dem Universum am liebsten das Licht ausknipsen möchte.“
Ilaya strich dem Alten sanft über die breite, vernarbte Brust. „Es tut mir leid, was dir passiert ist. Und ich verspreche, ich werde alles tun, um die Traurigkeit zu verhindern.“
Er antwortete nicht, schaute sie nur noch einen Moment lang bekümmert an.

Dann zeigte er ihr das universelle Archiv.
Seit es die ersten lebensfähigen Organismen gab, hatte man sämtliche Informationen über sie gesammelt, derer man habhaft werden konnte.
Ein ungeheurer Wissensschatz tat sich da auf und da Ilaya gerne Forscherin geworden wäre, um die Rätsel der Welt zu knacken, jauchzte sie jetzt im Stillen, konnte sie doch hier die Mutter aller Wissenschaft kennen lernen.
Während die beiden also für die nächsten Jahrhunderte hinter Buchdeckeln verschwanden, bauten die anderen Drachen einen Stützpunkt, von dem aus die Hüterin würde wirken können. Man nannte ihn Voundraque und er war genau das Paradies, welches man sich üblicherweise darunter vorstellt. 72 Planeten, einige Dutzend Planetoiden, hunderte Monde und künstliche Gebilde kreisten um ein System aus drei gigantischen, in perfektem Dreieck zueinander stehende Sonnen.
Jeder Planet sah anders aus, man lud alle, die am Test teilgenommen hatten ein, dort zu leben, ihre Kultur einzubringen, ihre Schätze und Gaben und Talente; man schuf die Inspiration.

Es war ein vortreffliches Gewusel; die Sonnen zauberten eine Hülle um das ganze große Reich herum, das sich 25 Milliarden Km weit ins All hinausstreckte, innerhalb derer die Drachen und Passagiere sich frei von einem Planeten zum anderen bewegen konnten. Und sie flogen immer noch viel herum, denn es gab so viel zu sehen. Manche Planeten besaßen überhaupt keine Technologie, andere bogen sich unter ihrer metallenen Last. Jeder durfte sein, wie er eben ist und auch wenn es manchmal Unstimmigkeiten gab, die sich meistens um die Frage drehten, welchen Planeten, welche Attraktion man als nächstes besucht, so gab es doch im bekannten Universum keinen Ort, der sanfter gewesen wäre. Hier, in Voundraque erübrigte sich die Frage wirklich, ob das Universum sein Leben liebt. Hier wusste man es einfach, stand Morgens mit dieser Gewissheit auf und ging Abends mit ihr zu Bett.

Es kam der Tag, an dem Perantiqus befand, Ilayas Ausbildung sei abgeschlossen.
Sie solle sich nun beweisen und einen kleinen Mond innerhalb Voundraques beleben. – Aber erst, nachdem sie das infantile Grinsen aus dem Gesicht bekäme, das sich in Anbetracht ihrer Garderobe ergab, welche sie in den Gemächern eines weitläufigen, über und über mit Blumen geschmückten Palastes fand. Wieder war es Fell-Ach der aufgeregt umher flog und fragte, ob denn auch alles zur Zufriedenheit wäre, sie hätten so lange über den Plänen gebrütet, und sich am Ende doch entschlossen, alle Ideen zu verwenden.
So gab es Gemächer in sämtlichen Regenbogenfarben und Salons mit kristallenen Möbeln und winzigen, purpurroten Sesselchen, in denen man stocksteif saß und mit abgespreiztem kleinen Finger aus Teetassen trank, die dünner waren, als ein Engelshaar. Oben auf dem Dach befand sich ein Swimmingpool samt einer 30m langen, steil in die Luft ragenden Rutsche. Und da auch Riesen beim Bau geholfen hatten, war die 70km lange Allee zum Schloss von atemberaubenden, 104m hohen Säulen aus Felsnadeln des Riesengebirges gesäumt; jede mit einem goldenen, reich verzierten Drachenlandeplatz an der Spitze. Als man bemerkte, WIE lang die Geschichte ist und das es so doch auch ein bißchen leer und ungemütlich wirkte, richtete man einen dauernden Basar ein, tausende Stände, deren Händler Produkte aus allen bekannten Welten feilboten.
Im Palast selbst zählte man 580 Schlafzimmer, jedes mit eigenem Bad, 63 Küchen, in denen man von Morgens bis Abends die feinsten Zutaten zu wahren Geschmacksexplosionen verarbeitete, ein Thronsaal, dessen Decke der Sternenhimmel selbst war, zig Ballsäle mit wunderschön geschwungenen Balustraden, die sich an die weit aufragenden Wände schmiegten wie Baumpilze; und dutzende Salons für die unterschiedlichsten Bedürfnisse ausgestattet und jede Menge stille Erker, die einluden, sich einen Moment zu setzen und die Schönheit wirken zu lassen.
Es dauerte Monate, bis Ilaya sich einigermaßen zurecht fand und nicht mehr jede Nacht in einem anderen Raum schlafen musste, weil sie ihre eigenen Gemächer verschollen glaubte. Dazu kam das stetige kommen und gehen von allen möglichen Wesen, sie lernte quasi ununterbrochen welche kennen, die irgendetwas für sie taten oder einfach so im Schloss lebten. Nicht lange und alle waren in sie verliebt. Jeden strahlte sie gleichermaßen freundlich an, ihre glitzernden Augen entlockten auch dem grummeligsten Gnom ein knappes Nicken mit dem Kopf.

Sie war inzwischen zu einer wunderschönen und selbstsicheren, jungen Frau herangewachsen, hatte gelernt ihre Schwingen einzusetzen und die tiefe Empfindungswelt der Drachen zu ihrer gemacht. Und endlich sollte es soweit sein, Ilaya bat von sich aus darum, diesen Mond nun beleben zu dürfen. Selbstverständlich, das sich das gesamte Reich um ihn versammelte. Eine geschlossene Hülle aus Wesen, in ihr drin der Mond und Ilaya, reglos im Raum schwebend. Niemals vorher und niemals nachher sollten sich die Lebendigen im Universum so miteinander verbunden fühlen.

Ilaya sammelte sich, sprach leise: „Wünscht mir Glück.“, was alle mit zustimmenden Raunen beantworteten, dann schloss sie die Augen, breitete die Arme aus und schickte ihre Gedanken auf die Mondoberfläche. Zuerst passierte gar nichts aber dann sah man plötzlich Farbtupfer, die rasch größer wurden, laufend ihre Gestalt veränderten und am Ende das ganze Land überzogen. Das hatte also schon mal geklappt, verhaltener Jubel brandete auf. Ilaya machte „Pscht!“ und sogleich war es wieder still. Nun ging es nämlich darum, der undefinierten Urmasse eine Form zu verpassen, da musste man schon genau nachdenken, damit da nicht nur Uwerasch bei rauskam.
Da man im ganzen Orbit Lupen verteilt hatte, konnte man nun in allen Einzelheiten betrachten, was sie dachte.

Sie ließ eine weite Graslandschaft entstehen, in der sich knubbelige, langbefellte Bischoms gütlich taten und es wuchsen Bäume, mit weit ausladenden Kronen und fedrigen Blättern. Einen davon machte sie ganz besonders hoch. Und nannte ihn den Lebensbaum. Er trug knallgrüne Äpfel und tiefrote Kirschen, süße, honiggelbe Pfirsiche und saftige, dunkelviolette Pflaumen. Alles auf einmal. Sie sprach, das jeder soviel und so oft von diesem Baum essen dürfe, wie er nur wollte. Nun gab es in der Mannschaft kein halten mehr.
Kurz gesagt, Voundraque flippte vor Freude aus. Und krönte Ilaya nun endgültig zur Königin und Hüterin der Farben, vertraute ihr das Reich zu ihrem Schutz und als ihre Heimat an. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann färbt sie heute noch die Planeten und sorgt dafür, das wir alle da sein können.

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